Spieltheoretische Argumente für die Überlegenheit des Sozialismus

Eine demokratische Gesellschaft braucht eine demokratisierte Wirtschaft

Ref.: Marc Mulia (Duisburg), November 2002

Wirtschaftsunternehmen bestimmen in weiten Teilen den Alltag der Menschen. Sie sind in unterschiedlicher Form am Produktionsprozeß beteiligt, und sie kaufen als KonsumentInnen die produzierten Waren. Sie lassen die Werbeanzeigen an den Plakatwänden und die Reklame im Fernsehen auf sich einwirken, und ihr Platz in der Gesellschaft wird auch heute noch maßgeblich von ihrem Platz im Wirtschaftsprozeß bestimmt. Wer als ArbeiterIn am Fließband oder neuerdings im Callcenter sein Brot verdient, hat nicht im selben Maße an den Entscheidungen über die Zukunft einer Gesellschaft teil, wie der- oder diejenige, die in der Vorstandsetage sitzt. Eine Gesellschaft wird noch nicht dadurch demokratisch, daß die Bevölkerung von Zeit zu Zeit ein neues Parlament wählen kann. Demokratie hat den Anspruch, eine größtmögliche Teilhabe aller Beteiligten an den sie betreffenden Entscheidungen zu realisieren. Im folgenden soll dieses Demokratieverständnis weiter ausgeführt werden und weiter wird es darum gehen, wie vor diesem Hintergrund die aktuelle Organisation des Wirtschaftlebens zu beurteilen ist. In einem zweiten Teil werden dann Wege der Demokratisierung der Wirtschaft aufgezeigt.

1. Was ist Wirtschaftsdemokratie?

Wenn von Wirtschaftdemokratie die Rede ist, werden in der Regel zwei recht unterschiedliche Ebenen der Demokratisierung angesprochen. Zum einen geht es um eine demokratische Kontrolle und Entscheidung der Gesellschaft über die Organisation der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Dies schließt vor allem Entscheidungen darüber ein, was alles produziert wird und wie mit den dafür notwendigen Ressourcen umgegangen wird. Zum anderen ist von Wirtschaftsdemokratie die Rede, wenn es um Demokratisierungsprozesse innerhalb von Unternehmen und Betrieben geht. Hier sind vor allem konkrete Fragen der Arbeitsgestaltung Gegenstand von Entscheidungen. Ebenfalls diesem Konzept von Wirtschaftsdemokratie zuzurechnen sind Aushandlungsprozesse zwischen überbetrieblichen Zusammenschlüssen von Arbeitenden und UnternehmerInnen, also zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Auch hier geht es üblicherweise um die Gestaltung des Arbeitsprozesses. Ein umfassendes Konzept einer Demokratisierung der Wirtschaft muß beide genannten Aspekte umfassen, weil wie oben schon dargestellt die Menschen nicht nur als Beteiligte am Produktionsprozeß, sondern auch als Betroffene der vielfältigen Folgen hiervon berührt sind.

Um über Wirtschaftsdemokratie im Detail diskutieren zu können, ist es sinnvoll erst einmal zu klären, was unter Demokratie zu verstehen ist. Hier hat sich nämlich bedauerlicherweise in den letzten Jahrzehnten erneut ein alter Irrtum sehr festgesetzt. Demokratie wird mit der Beteiligung der BürgerInnen an Wahlen gleichgesetzt und im Kern als die Herrschaft der Mehrheit gesehen. So können Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten, wenn nur eine Parlamentsmehrheit sie beschließt, ohne weiteres als demokratisch gelten, was sie nach einem substanzielleren Demokratieverständnis natürlich nicht sind. Demokratie in einem klassisch liberalen Verständnis, wie es sich etwa in der amerikanischen Verfassung, aber auch im Grundgesetz wiederfindet, ist die Forderung nach der größtmöglichen Freiheit jeder und jedes einzelnen, an den ihn betreffenden Entscheidungen in der Gesellschaft sich aktiv beteiligen zu können. Dazu gehören entsprechend auch umfassende Beteiligungsmöglichkeiten potentieller Minderheiten und insbesondere gehört dazu auch das Recht, in den Lebensbereichen, von denen andere nicht berührt sind, für sich selbst entscheiden zu können. Schließlich ist es auch ein Irrtum, daß Demokratie bereits hergestellt ist, wenn es entsprechende Gesetze gibt. Demokratie muß vielmehr aktiv gelebt werden, und Menschen müssen befähigt und ermutigt werden, ihre Rechte auch in Anspruch zu nehmen.

Die GegnerInnen eines solchen Demokratieverständnisses führen im wesentlichen pragmatische Argumente an. Die Beteiligung aller an allen möglichen Entscheidungen ist praktisch nicht umsetzbar und sie ist für die einzelne mit so hohen Informations- und Entscheidungskosten verbunden, daß am Ende der Schaden größer ist als der Nutzen. Eine analoge Argumentation findet sich auch bei den GegnerInnen einer Demokratisierung der Wirtschaft. Sie verweisen darauf, daß nicht alle über das große Fachwissen verfügen können, das notwendig ist, um die zu fällenden Entscheidungen zu treffen. Solche Argumente sind nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. In der Tat bietet die Professionalisierung bestimmter Aufgaben große Vorteile. Aber bei genauer Betrachtung folgt daraus nur, daß diese Tatsache bei der konkreten Organisation demokratischer Entscheidungsprozesse beachtet werden muß. Das demokratische Ideal wird dabei nicht angekratzt.

2. Die Schwächen des freien Marktes

Ein viel stärkeres Argument für eine privatwirtschaftliche Güterproduktion und einen freien Markt ist die Annahme, daß dabei optimale Ergebnisse herauskommen. Wenn alle zuerst an sich selbst denken, kommt auch für alle das Beste dabei heraus. Seit Adam Smith diese Vorstellung in seinem Klassiker „The wealth of nations“ ausgeführt hat, ist sie unter den BefürworterInnen eines freien Marktes zur Losung geworden und wird noch heute den Kindern in der Schule beigebracht, obwohl sie theoretisch falsch ist, es sei denn es werden noch eine ganze Reihe von stützenden Zusatzannahmen gemacht. Im folgenden werden theoretische Überlegungen angestellt, warum Märkte nicht optimal sind zur Steuerung der Güterproduktion und zur Verteilung von Gütern. Das bedeutet nicht, daß zur Zeit in bestimmten Bereichen Märkte nicht Vorteile gegenüber staatlichen Monopolen haben. In der Praxis muß stets zwischen realisierbaren Alternativen abgewogen werden. Ein großer Vorteil von Märkten liegt sicher darin, daß sie prinzipiell eine Vielzahl von Informationen bei der Preisbildung berücksichtigen und dabei gleichzeitig relativ geringe Koordinierungskosten entstehen im Vergleich zu planwirtschaftlichen Alternativen. Hier geht es allein darum, die herrschende Ideologie zu widerlegen, nach der Märkte prinzipiell anderen Steuerungsmodellen überlegen sind. Mit dieser Ideologie wird zur Zeit die Privatisierung nahezu sämtlicher öffentlicher Unternehmen vorangetrieben.

Ein sehr wichtiger Beitrag zur Kritik der Marktideologie ist der mathematischen Spieltheorie zu verdanken. Durch spieltheoretische Modelle wie z.B. dem sogenannten Gefangenendilemma konnte gezeigt werden, daß das kollektiv wünschbare Ergebnis in einer strategischen Entscheidungssituation nicht zustande kommt, wenn jeder Beteiligte darauf aus ist, seinen eigenen Nutzen zu maximieren. Diese Situation läßt sich auf die Produktion sämtlicher sogenannter Kollektivgüter übertragen. Kollektivgüter sind solche Güter, die sich ein einzelner alleine nicht leisten kann, an deren Produktion er aber ein Interesse hat und für die er bereit ist einen angemessenen Beitrag zu zahlen, wenn andere dies auch tun. Solche Kollektivgüter wie Schwimmbäder, Bibliotheken, Schulen und Krankenhäuser werden auf einem freien Markt nicht ohne weiteres produziert. Für diese Fälle war es über eine lange Zeit selbstverständlich, daß öffentliche Körperschaften für ihre Bereitstellung als verantwortlich angesehen wurden, und die Entscheidung hierüber unterlag so der demokratischen Kontrolle der Bevölkerung, wenngleich sich auch hier streiten läßt, ob dies nicht besser realisiert werden könnte.

Etwas schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob der freie Markt für klassische Privatgüter eine optimale Produktion sicherstellen kann. Allein oberflächlich betrachtet, aus den Augen eines Spaziergängers in Supermärkten, erscheint die Produktion einer unüberschaubaren Vielzahl von Zahncremes und Hundefuttersorten übertrieben. Der Laie sieht sich 50 möglichen Autoversicherern und neuerdings einer ebenso großen Zahl von Krankenversicherungen ausgesetzt. Wie läßt sich überhaupt vorstellen, daß bei einer so großen Zahl von Anbietern die Produktionskosten niedriger sind, als wenn es etwa nur einen Anbieter geben würde. Wenn alles optimal organisiert wäre, dürfte es für alle von Vorteil sein, wenn es nur wenige oder einen Anbieter gibt. Dann müßte das Monopol aber in öffentlicher Hand sein, weil ein privater Monopolist als Gewinnmaximierer stets Preise oberhalb des Marktpreises verlangen würde. Die MarktbefürworterInnen haben hiergegen vor allem Bedenken, die sich auf eine ihrer wichtigsten Grundannahmen stützt, daß nämlich, je mehr Wettbewerb und Konkurrenz vorhanden ist, desto stärker Wirtschaftsunternehmen gehalten sind, zu niedrigen Kosten zu produzieren. Hieraus folgt, daß eine große Zahl privater Unternehmen oftmals preisgünstiger produziert als ein staatlicher Monopolist. Dies gilt freilich nicht immer, sondern hängt davon ab, wie gut der Monopolist seine Produktion organisiert, denn theoretisch ist er immer noch in der Lage kostengünstiger zu produzieren.

Die interessierte Leserin wird sich inzwischen fragen, was mit diesem Ausflug in die ökonomische Theorie bezweckt ist. Und deshalb ist an dieser Stelle eine Zäsur ganz angebracht. In der Bundesrepublik der 90er Jahre hat sich eine Ideologie des Marktes und des freien Wettbewerbs soweit durchgesetzt, daß sie kaum noch hinterfragt wird. Während es nach dem 2. Weltkrieg einen Konsens gab, daß die Schwerindustrie selbstverständlich unter demokratische Kontrolle gehört und zu vergesellschaften ist, sind die Argumente, die damals für jede und jeden auf der Hand lagen, nunmehr nicht mehr präsent. Und selbst die klassischen Argumente, die für einen freien Markt und das Privateigentum an Produktionsmitteln einmal angeführt worden sind, werden kaum noch diskutiert. Statt dessen hat sich eine Sachzwanglogik herausgebildet, die die Verhältnisse, so wie sie zur Zeit sind, als notwendig erscheinen läßt. Aus diesem Grund halte ich es für angebracht, hier die von vielen längst vergessene Diskussion über die Gründe für eine Demokratisierung der Wirtschaft und auch die Gegenargumente zumindest knapp darzustellen.

Daß die Güterproduktion durch gewinnmaximierende Unternehmen nicht automatisch auch die kostengünstigste Lösung ist, habe ich bereits versucht deutlich zu machen. Somit ist auch klar, daß bei gegebenem Input an Ressourcen und Arbeitskraft in einer so organisierten Wirtschaft nicht unbedingt der Wohlstand am größten ist. Vor allem ist dies nicht der Fall, wenn nun genauer bestimmt wird, was unter einem großen Wohlstand zu verstehen ist. Denn es sieht gleich anders aus, wenn nicht bloß eine quantitative Größe wie das Bruttosozialprodukt als Kriterium zugrunde gelegt wird, sondern erstens berücksichtigt wird, wem der gesellschaftliche Reichtum zugute kommt und wenn zweitens auch andere nicht in Geld meßbare Faktoren, die die Lebensqualität der Menschen bestimmen, berücksichtigt werden. Dabei wird sich deutlich zeigen, daß eine demokratisch organisierte Wirtschaft für die Menschen insgesamt von Vorteil ist. Es wird am Ende trotzdem die Frage der Realisierung bleiben, auf die es keine einfache Antwort gibt. Doch zunächst wird die begonnene Argumentation zu Ende geführt.

Ein sehr starkes Argument der Wirtschaftsliberalen ist die Verteilungsfunktion des Marktes. Durch den Preis, der sich aus Angebot und Nachfrage ergibt, stellt sich wie durch eine unsichtbare Hand ein Gleichgewicht ein, so daß genauso viel von jedem Gut produziert wird, wie die NachfragerInnen davon abnehmen. Gerade im Kontrast zur Art, wie in der DDR die Produktionsmenge und Preise festgelegt wurden, funktioniert dieser Marktmechanismus auf den ersten Blick wunderbar. Aber auch hier gibt es bei näherer Betrachtung zwei gewichtige Einwände, einen empirischen, der zwar nicht das Marktprinzip in Frage stellt, aber trotzdem alleine schon durchschlagend ist, und einen theoretischen, der nicht so augenscheinlich ist. Der erste Einwand betrifft die ungleichen Ausgangsbedingungen der AkteurInnen auf Märkten. Aufgrund einer vollkommen ungleichen Verteilung der Einkommen und Vermögen haben die Menschen in der Bundesrepublik nämlich keinesfalls gleiche Chancen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Wo die Produktion von Gütern allein vom Marktpreis abhängt, sind natürlich die Reichen viel durchsetzungsfähiger als die Armen. Mit anderen Worten: Vermittelt über den freien Markt wird bei ungleicher Geldverteilung eine ganz andere Kombination von Gütern produziert, als wenn die BürgerInnen hierüber demokratisch entscheiden könnten. Konkret bedeutet das, daß insbesondere Güter, die von Reichen stark nachgefragt werden, für Arme unerschwinglich teuer werden können. Das gilt nicht nur für teure Autos, sondern auch für Lebensmittel, die nur in bestimmten Kombinationen produzierbar sind wie z.B. Fleisch. Wenn es NachfragerInnen gibt, die bereit sind für Filets hohe Beträge zu zahlen, bleibt für diejenigen, die da nicht mehr mitbieten können, nur Fleisch von geringerer Qualität übrig. Gerade in einer Gesellschaft mit spürbar unterschiedlicher Einkommens- und Vermögensverteilung würde die VerliererInnen von einer Demokratisierung der Wirtschaft profitieren können.

Nun ist dieses Argument als empirisch bezeichnet worden, weil die Verteilung theoretisch ja auch anders sein könnte, zumindest am Anfang. Allerdings gibt es gute Gründe für die Annahme, daß eine kapitalistische Wirtschaftsordnung eine ungleiche Verteilung mit der Zeit notwendig zustande bringt. Gegen die Behauptung der Markt führe zu einem optimalen Produktionsmix gibt es aber einen zweiten Einwand, selbst für den Fall, daß Einkommen und Vermögen gleich verteilt wären. Wenn der Preis eines Produktes und auch die produzierte Menge durch Angebot und Nachfrage festgelegt werden, ist es zwar richtig, daß theoretisch genau dieselbe Menge angeboten und nachgefragt wird, jedoch folgt daraus nicht, daß ein Produktionsmix dabei zustande kommt, bei dem alle Menschen gleichermaßen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Es ist vielmehr nicht nur so, daß von stark nachgefragten Gütern mehr produziert werden, was eine sehr positive Folge des Marktmechanismus ist, sondern auch, daß diese preiswerter als weniger nachgefragte Güter werden. Das heißt aber im Extremfall, daß Minderheiten, die aus irgendeinem Grund auf bestimmte Güter angewiesen sind, immer die VerliererInnen am freien Markt sind, während Mehrheiten durch den Markt in einem überproportionalen Maße in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.  Zum letzten Argument muß natürlich fairerweise eingeräumt werden, daß  Minderheiten in der heute üblichen Form der Demokratie in der Regel ebenfalls die VerliererInnen sind.

Alle bislang aufgeführten Argumente für eine demokratische Wirtschaft bewegen sich im Rahmen der modernen ökonomischen Theorie. Sie sind nach meiner Einschätzung für sich schon hinreichend. Trotzdem sollte das klassische sozialistische Gerechtigkeitsargument nicht unerwähnt bleiben. Dieses besagt, daß der von den ArbeiterInnen im Produktionsprozeß geschaffene Mehrwert von anderen, nämlich den UnternehmerInnen sich angeeignet wird. Die ArbeiterInnen werden somit ausgebeutet, während sich die UnternehmerInnen dabei bereichern. Der klassische Sozialismus hat es sich zum obersten Ziel gesetzt, diesen Zustand zu überwinden. Dieses hier nur sehr kurz dargestellte Anliegen, steht nicht im Widerspruch zu den zuvor angestellten Überlegungen. Es stützt die Kritik am freien Markt mit Blick auf den Input der Produktion (Arbeit und Kapital), während die zuvor dargestellten Überlegungen sich vor allem auf den Output der Produktion bezogen. Letzteres stand deswegen hier im Vordergrund, weil es hier darum ging, die Argumentation der BefürworterInnen eines freien Marktes zu kritisieren.

3. Der Rahmen des Grundgesetzes

Sowohl zur Frage der gesellschaftlichen Verfügung über die Produktionsmittel bzw. die demokratische Kontrolle bestimmter Produktionsprozesse, als auch zur Organisation der Interessenvertretung der am Produktionsprozeß Beteiligten macht das Grundgesetz verschiedene Vorgaben. Unter den Grundrechten (Artikel 1 bis 19) findet sich u.a. der Artikel 15 (Überführung in Gemeineigentum). In der heute fast vergessenen Textpassage heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Freilich hat es ein solches Gesetz niemals gegeben. Hier klingt der Geist der späten 40er Jahre noch durch, als die CDU in ihrem Ahlener Programm (beschlossen am 3.2.47) die kapitalistische Wirtschaftsordnung für gescheitert erklärt hat und eine Neuordnung gefordert hat. Wörtlich steht im Ahlener Programm: „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtsstreben, sonder nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“ Im weiteren fordert das Programm u.a. die Vergesellschaftung des Bergbaus und der Schwerindustrie.

Die CDU hat bekanntlich ihren Kurs sehr schnell geändert und so war auch die zitierte Passage im Grundgesetz schon wieder zurück von den Forderungen der ersten Jahre nach 1945. Das Grundgesetz fordert nicht die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, es hält aber eine Tür dazu offen.

Anders sieht es mit den Grundrechten aus, die zur Legitimation der Tarifautonomie und der betriebliche Mitbestimmung dienen. Die Forderung des Artikel 14 „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ ist ein klarer Auftrag an den Staat. Dieser ist verpflichtet, die Freiheiten der EigentümerInnen einzuschränken, soweit dies zum Wohle der Allgemeinheit notwendig ist. Der Schutz der Freiheit der EigentümerInnen steht dieser Forderung allerdings ständig entgegen und so muß ein Abwägungsprozeß stattfinden. Unter der hier diskutierten Fragestellung nach dem Demokratisierung der Wirtschaft, hat es nur wenige staatliche Maßnahmen gegeben. Die größte Bedeutung haben darunter sicherlich das Montan-Mitbestimmungsgesetz (1951), das Betriebsverfassungsgesetz (1952, Neufassung 1972) und das Mitbestimmungsgesetz (1976). In diesen drei Gesetzeswerken sind wesentliche Rechte der ArbeitnehmerInnen geregelt, vor allem die Rechte zur Bildung von Betriebsräten und zur Beteiligung an Aufsichtsräten von großen Unternehmen. Ohne an dieser Stelle auf die Gesetze in einzeln eingehen zu können, ist aus heutiger Sicht festzustellen, daß eine wirkliche Demokratisierung auch innerhalb von Betrieben und Unternehmen durch sie nicht erreicht werden konnte. Das liegt zum einen sicherlich daran, daß auch durch diese Bestimmungen die ArbeitnehmerInnen nie in der Lage sind, sich gegenüber den ArbeitgeberInnen im Betrieb durchzusetzen. Zum anderen ist aber auch die Konstruktion der Beteiligung nicht geeignet, um den Handlungsspielraum der einzelnen MitarbeiterInnen zu vergrößern. Es gilt auch hier das bereits oben kritisierte Demokratieverständnis, nach dem gelegentlich Wahlen stattfinden und jede weitere Partizipation delegiert wird. Bei den Wahlen von Aufsichtsräten sind die ArbeitnehmerInnen nur noch mittelbar beteiligt.

Eine große Rolle bei gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über Arbeitsbedingungen spielen die Interessenverbände der ArbeitnehmerInnen (Gewerkschaften) und der ArbeitgeberInnen. Hierzu garantiert das Grundgesetz in Artikel 9 die Koalitionsfreiheit. Aufgrund der Koalitionsfreiheit und der damit verbundenen Tarifautonomie haben die genannten Interessengruppen die Möglichkeit Tarifverträge abzuschließen, in denen neben der Höhe von Löhnen und Gehältern auch sonstige Arbeitsbedingungen geregelt werden können. So ist es den Gewerkschaften in den letzten Jahren zum Teil gelungen, gesetzliche Verschlechterungen in Tarifverträgen aufzufangen, wie z.B. bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Demokratisierungsmaßnahmen konnten jedoch noch nie aufgrund von Verhandlungen durchgesetzt werden.

4. Der Verlust der Kontrolle

Die 90er Jahre sind insgesamt von einem vergleichsweise rasanten Umbau der Wirtschaft gekennzeichnet. Gerade in der jüngsten Zeit machen Unternehmensfusionen immer häufiger Schlagzeilen. International tätige Konzerne können sowohl mit den im Moment zur Verfügung stehenden Mitteln interner Mitbestimmung, noch mit denen staatlicher Kontrolle wirksam gesteuert werden. Eine demokratische Teilhabe der MitarbeiterInnen in solchen Konzernen ist genauso fern wie gesellschaftliche Entscheidungen über die Produktion. Tatsächlich wurden zahlreiche Staatsbetriebe (z.B. Bahn und Post) privatisiert mit der Konsequenz, daß in diesen Bereichen die gesellschaftlichen Einflußmöglichkeiten massiv eingeschränkt wurden.

Zugleich werden die sozialen Folgen der Deregulierungspolitik der vergangenen Jahre immer deutlicher. Reichtum und Armut steigen in gleichem Maße. Die Schere der Verteilung von Einkommen und Vermögen geht immer weiter auseinander. Die Mehrheit der Bevölkerung ist dem freien Markt regelrecht ausgeliefert. Die theoretischen Gründe dafür wurden oben bereits genannt. Doch obwohl die Entwicklung so klar auf der Hand liegt, regt sich wenig Widerstand dagegen. Die ProtagonistInnen des freien Marktes haben es verstanden, den Umbau der Wirtschaft mit einem Umbau des Sozialstaates zu verknüpfen und dem ganzen mit einer großangelegten ideologischen Offensive den Weg zu bereiten. Das bekannteste Schlagwort dabei ist wohl das von der „Globalisierung“. Wesentlicher Bestandteil dieser ideologischen Offensive des Marktliberalismus ist, daß die Menschen glauben, es bliebe uns gar keine andere Wahl und so wie es läuft, ist es für alle noch am besten. Der ideologische Erfolg ist beeindruckend und beängstigend. Die Forderung nach Umverteilung wird zwar erhoben, jedoch ist die Diskussion darüber nicht gesellschaftlich verankert. Sie gehört zum Repertoire sozialdemokratischer/gewerkschaftlicher Forderungskatologe, doch fehlt der SPD (nun selbst in der Bundesregierung) der Wille oder die Kraft wirklich umzuverteilen.

Politik versteht sich immer mehr als Rahmen für wirtschaftliche Prozesse, ohne die Option zur Intervention noch im Blick zu haben. Wer Chancengleichheit und eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung will, muß intervenieren.

5. Wege der Demokratisierung der Wirtschaft

Die Demokratisierung der Wirtschaft wird heute kaum noch gefordert. Während sie unmittelbar nach 1945 fast konsensual von allen großen Parteien als wichtige politische Aufgabe angesehen wurde, erscheint sie heute als weltfremd und gänzlich gegen den Strom der Zeit gerichtet. Bevor es zu einer Demokratisierung der Wirtschaft kommen kann, werden zwei gesellschaftliche Debatten wieder angestoßen werden müssen. Zum einen muß über Demokratie im allgemeinen geredet werden. Dabei muß klar gemacht werden, daß es ein sinnvolles Ziel ist, eine Gesellschaft so zu organisieren, daß jedeR seine Bedürfnisse gleichermaßen und möglichst gut befriedigen kann. Zum zweiten müssen die Steuerungsmöglichkeiten durch den Markt kritisch geprüft werden. Die theoretischen Bedenken, die hier bereits geäußert wurden, müssen weiter untermauert werden und es muß gleichzeitig deutlich werden, daß es demokratische Steuerungsmodelle jenseits der Planwirtschaft der DDR gibt, die besser geeignet sind, einen optimalen Produktionsmix zu verwirklichen als jeder freie Markt.

Allerdings muß eingeräumt werden, daß die Möglichkeiten für eine demokratische Steuerung der Wirtschaft in Zeiten multinationaler Konzerne und einer schon weit vorangeschrittenen Neoliberalisierung sehr zurückgedrängt worden sind. Die Entwicklungen der 80er und 90er Jahre sind genau in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Ob eine Demokratisierung im nationalen Rahmen noch umgesetzt werden kann, ist für viele fraglich geworden. Nicht angebracht ist allerdings die Angst vor massenhaften Abwanderungen von Wirtschaftsunternehmen und einem damit verbundenen Arbeitsplatzverlust, wie es von Arbeitgeberverbänden permanent angedroht wird, falls hier nicht alles so läuft, wie es die Unternehmen haben wollen. Tatsächlich sind die sogenannten Lohnstückkosten in Deutschland in den 90er Jahren immer weiter (auf Kosten von Löhnen und Gehältern) gesunken und die Unternehmensgewinne gestiegen. Demokratisierungsmaßnahmen im nationalen Rahmen wie z.B. ein Ausbau von Mitbestimmungsrechten in Betrieben und auch die Vergesellschaftung/Verstaatlichung gesellschaftlich wichtiger Bereiche würden die betreffenden Unternehmen zwar ärgern, weil ihre Macht dadurch zurückgedrängt würde, jedoch ist insgesamt nicht damit zu rechnen, daß deswegen die Wirtschaft zusammenbricht und der Wohlstand schwindet. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß es gerade in den vollständig demokratisierten Bereichen der Produktion eine größere Verteilungsgerechtigkeit und ein insgesamt höheres Maß an Wohlstand gibt, weil hier keine Unternehmensgewinne mehr abgeschöpft werden, sondern diese an die Menschen (ArbeiterInnen und KonsumentInnen) weitergegeben werden. Somit profitieren von einem Mehr an Demokratie insbesondere die Menschen, die heute zu den VerliererInnen des freien Marktes zählen.

Eine Demokratisierung kann auf zwei Wegen geschehen: Wie ein Tunnel, der von zwei Seiten gebohrt wird, wäre es eine gute Strategie von innen, also aus den Unternehmen und Betrieben heraus und zur gleichen Zeit von außen, also von staatlicher Seite Demokratisierungsmaßnahmen einzuleiten bzw. zu erkämpfen. Die gesellschaftliche Kontrolle von Unternehmen wird dabei nur in kleinen Schritten vorangebracht werden können. Am Ende einer solchen Entwicklung könnte eine Gesellschaft stehen, in der der Markt höchstens noch in Form der in den letzten Jahren diskutierten virtuellen Märkte vorkommt, die die Funktion haben, den Menschen, die über die Produktion entscheiden, möglichst gut mit Informationen zu versorgen.

Im Moment befinden wir uns in einer zutiefst defensiven Phase in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Demokratisierung der Wirtschaft. Die Abwehrkämpfe gegen die weitere Privatisierung von wichtigen Infrastrukturaufgaben und gegen den Abbau betrieblicher Mitbestimmungsrechte müssen geführt werden. Die generelle Kritik, wie sie hier nur punktuell dargestellt werden konnte, muß aber wieder an öffentlicher Präsenz gewinnen. Die Logik der Sachzwänge muß konstruktiv aufgebrochen werden, d.h. die Alternativen, an die heute kaum noch jemand glaubt, müssen wieder sichtbar und damit ein Stück greifbarer werden.

 

Marc Mulia

 

Quelle:

Dagmar Everding, Michael Kruse und Harald Kugel (Hrsg.): Demokratie in Deutschland. Bewährungsprobe ‚Globalisierung‘, 1999

 

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persönliche Daten:

Marc Mulia, geb. 2.7.69, ist seit 1988 Mitglied der JungdemokratInnen/Junge Linke. Bundesgeschäftsführer 1991/1992, Landesschatzmeister NRW 1992, Bundesvorstand 1992-1995, von 1993 bis 1999 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, seit 2000 stellv. Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW.

Studium der Wirtschaftswissenschaften, Philosophie, Sozial- und Erziehungswissenschaften an der Uni-GH Duisburg von 1990 bis 1997, Abschluß: Erstes Staatsexamen Lehramt Sek. II (Sozialwissenschaften/Philosophie), seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni-GH Duisburg im Institut für Soziologie, Schwerpunkt soziologische Theorie/Mikrosoziologie.